Tischlein, deck dich!

Tischlein, deck dich!

#206 Das Ganze

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Rimbaud, Das poetische Werk, Matthes und Seitz, Schreckschräubchen

Dr- Mohamed Abdel Aziz,
Reise durch die Welt der arabischen Poesie, Band IV, Pausenapfel

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Von den drei Bösen


Seid mir gegrüßt, liebe Hörenden. Hier übersende ich euch noch eine letzte Folge, die ich vor meinem Urlaub aufnahm. Den Text unten verfasste ich kurz vor meinem Abflug. Mittlerweile bin och gelandet und sende euch warme Liebesgrüße aus dem Süden. Hier nun der Begleittext, der von der Reiseaufregung zeugt:

Liebe Leute,

Die letzte Folge war ja wild. Generell gab es viele Aufs und Abs in meinem Podcastleben. Herr Rohrbiss ist ja nur eine Fiktion, eine Persona, so wie auch Lana del Rey eine Maske ist, hinter der sich die bürgerliche Person Elizabeth Grant verbirgt. Aber wer kann schon sagen, was Schein und was Wahrheit ist? Wenn man so in seiner Rolle aufgeht wie Lana und als Person, die Kunst macht, als Kunstfigur also, etwas so Eigentümliches, Unverwechselbares und Charakteristisches darstellt wie sie, dann fühlt man dieses glanzvolle Kunstleben vielleicht als das eigentliche Leben, als das wirkliche Sein, neben dem die bürgerliche Existenz nur eine schale Maske der nützlichen Belanglosigkeit ist. Ich weiß es nicht und möchte keinesfalls andeuten, mich mit solchen weit entwickelten Künstlerpersönlichkeiten vergleichen zu können.

Meine Gedanken sind auf eine abschüssige Bahn geraten, ohnehin kann man im Leben ja selten steuern und rollt meistens grad so dahin, wie man angeschubst wurde.
Da muss man schon hart kämpfen, um überhaupt mal eine eigene Entscheidung zu treffen, neben den hundert fremden, denen man sich anpasst und fügt und sie assimiliert und bald als die eigenen ausgibt.

Jedenfalls werde ich jetzt nach Marokko reisen; nicht nach Argentinien, wie manche naseweise Hörer vielleicht schon mutmaßen mochten nach der letzten Folge.
Vor einer halben Stunde checkte ich in ein Hotel am Frankfurter Flughafen ein, von wo aus morgen früh zu unchristlicher Stunde mein Flugzeug abheben und den Bug Richtung Süden ausrichten wird.

Was ich mir von dieser Reise verspreche? Das ist ganz klar und steht für mich außer Frage; es ist dies das Einzige, was überhaupt zählt im Leben und ich habe mir vorgenommen, mir mit dieser Reise eine spirituelle Erfahrung zu schaffen, die mich emporkatapultieren wird in unerhörte Höhen der Erleuchtung. Und zwar möchte ich mir einfach antrainieren, mal ein bisschen ausdauernder zu sein wenn es daran geht, Blickkontakt zu halten oder aufzunehmen. Wie oft sehe ich im Alltag eine interessante Person - vorzugsweise eine Frau, sodass die erotische Komponente noch hinzukommt und die Neugier anstachelt - und schaffe es doch nicht, sie so anzublicken, wie ich es mir eigentlich wünsche. Wäre das nicht eine Grenzüberschreitung, eine Verletzung von Normen und Geboten? So mag man sich fragen; aber all diese Zweifel sind nur Rationalisierungen für die Feigheit. Somit bleibt als Ziel, gerade und ungeniert zu schauen, wenn auch nicht zu starren. Aber es wird ja wohl noch nicht verboten sein, mal genauer hinzuschauen und einen zweiten Blick zu wagen, wenn einem gewisse Merkmale und Eigenheiten auffallen, herausstechen und gar gefallen an einer wahrgenommenen anderen Person.

Damit ist der Rahmen klar skizziert. Ob ich neben diesem eigentlichen Anspruch und Gipfelziel auf der Reise auch noch Zeit haben werde, zu podcasten? Ich weiß es nicht, aber liebe Leute, macht ihr doch derweil Podcasts; vor allem euch Arbeiter in den Saftläden, Cafés oder Supermärkten und Bäckereien fordere ich auf, eure Talente zum Sprechen oder zu was auch immer zu entdecken und zu realisieren. Wenn man nicht gefordert wird, schrammt man dran vorbei, weil da nämlich gar kein Ziel ist, daher fordere ich euch ja und bekräftige mit klarer Stimme, dass, sollten aus den Kreisen meiner Hörer und Leser tatsächlich solche proletarischen Podcasts entstehen, ich mir diese gern und geduldig anhören würde.

Die heute gesendete Folge ist die letzte, die ich noch auf Lager hatte, somit halte ich endlich mal wieder nichts zurück, meine Hinterhand ist leer und ich erwarte euer Urteil oder eure Reaktionen.

Man stellt sich das Große immer als viel zu groß vor, dabei wäre doch schon etwas Kleines so viel, so bedeutend und bedeutungsschwanger. Wie eben so ein Augen-Blick, ein übersinnlicher Strahl, mit dem sich zwei Gehirne verbinden und ihre Türen öffnen, den Anderen durch die Augen hereinlassen.
Ein solcher Blick sollte möglich sein, zumindest darf man es versuchen. Und vor allem, als Höchstleistung und höchste Emanation dieses Blickens und der zugrundeliegenden Öffnung und Spannung, könnte sogar ein Wort gewechselt werden. Ja, mir schwebt etwas solches vor, nämlich dass allein das Blicken schon stark genug und gleichsam eine Aufforderung wäre, sodass man unwillkürlich anfinge, zu sprechen. Aber natürlich ist das heute nicht so leicht wie in den früheren Zeiten, als die Menschen ja noch unbefangener und unbedrückter von der rohen Gewalt und brachialen Zwangsmäßigkeit der kapitalistisch-imperialistisch-liberalistischen Herrschaft parlieren konnten. Der reine Druck der akkumulierten Werte, die heute viel größer sind, weshalb sie auch mit gewaltigeren, einschüchternden Mitteln des Militärs, der Polizei und Ideologiepolizei geschützt werden müssen als noch vor einem halben Jahrhundert, dieser Druck also lässt uns brechen und dematerialisiert letztlich die Realität vor unseren Augen, bis nichts mehr übrig ist außer den reinen Zahlen- oder Tauschwerten, dem Austausch von Geld gegen eine Dienstleistung oder Ware, worin so ziemlich die gesamte bourgeoise Welt zusammengefasst ist. Und hierüber dürfen wir uns nicht täuschen, der Kapitalismus ist die ganze Welt, es gibt kein Außerhalb, auch China, Nordkorea, Vietnam oder Kuba sind natürlich längst von ihm eingesogen oder assimiliert worden, mögen sie sich auch noch so tapfer gewehrt haben. Um also wirklich in dieser Welt zu stehen, muss man das bourgeoise Regime, wie ich gern dasjenige nenne, was landläufig Kapitalismus heißt, in gewisser perverser Weise auch affirmieren und dessen Logik bekräftigen.

Damit ist nicht gemeint, Ausbeuter zu sein oder von der Kapitalrente zu leben, wie ja auch ich es in gewissem Sinne tat in den letzten Monaten nach meinem Ausscheiden aus der Lohnarbeit. Aber dieses Leben ist nicht das wahre, sondern nur das arbeitende, weshalb ich mich auch schon wieder nach meiner beruflichen Arbeit sehne, die nach der Reise neu beginnt.

Nein, aber affirmieren im Sinne einer grundlegenden Gier nach mehr und einer Unersättlichkeit des Herzens, eines Arbeitsdranges, der nicht aus Kalkül, Logik und Zweck, sondern aus reiner Lust an der Spielerei und Erschaffung von neuen Werten (und wenn es auch, wie im Kapitalismus, nur Zahlenwerte sind) immer neue Produkte, Pläne und Produktionsweisen erfindet. In diesem Sinne meine ich, haben wir das Phantasma der widerlichen Kapitalherrschaft noch gar nicht ausreichend durchquert, um es kritisieren zu können.


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Über diesen Podcast

Liebe Hörer*innen,
warum braucht es noch einen Podcast?
Vor allem wollte ich dem ersten Artikel der amerikanischen Verfassung gerecht werden, wie er von Adam Curry formuliert wurde: You shall not make bad TV.
Es sollte unser erster Anspruch sein, mal ein besseres, unterhaltsameres Medienangebot bereitzustellen, denn was sonst so in den Massenmedien stattfindet, ist für mich nicht akzeptabel und schädigt mich immer weiter, indem es meine innere revolutionäre Kraft hemmt und uns einhämmern will, es gäbe keine Alternative zum Gegebenen, Revolution sei verboten…

Friedrich Nietzsche brachte wohl das zwiespältige Gefühl, meine Gedanken mit mehr Menschen teilen zu wollen, im Nachtlied des Zarathustra am besten auf den Punkt: 
„Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen.
Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir, das laut werden will. Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der Liebe.
Licht bin ich: Ach dass ich Nacht wäre! Aber dies ist meine Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet bin.
Ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zurück, die aus mir brechen. 
Ich kenne das Glück des Nehmenden nicht und oft träumte mir davon, dass Stehlen noch seliger sein müsse als Nehmen.
Das ist meine Armut, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein Neid, dass ich wartende Augen sehe und die erhellten Nächte der Sehnsucht.
Wer immer austeilt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austeilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austeilen.
Viel Sonnen kreisen im öden Raum: zu allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte — mir schweigen sie.
Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen, kalt gegen Sonnen — so wandelt jede Sonne.
Einem Sturme gleich wandeln die Sonnen in ihren Bahnen. Ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte.
O ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus Leuchtendem! O ihr erst trinkst euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern!
Nacht ist es: ach, dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nachtigern! Und Einsamkeit!
Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen — nach Rede verlangt mich.“

Ja mein Podcast ist eine Quelle der Lebenskraft für mich selbst und vielleicht jetzt auch für euch. Aber ich möchte betonen, dass es selbstverständlich sein sollte, was ich mache und mein Trieb zum Podcasten speist sich einfach aus dem Drang, nicht der Herde zu folgen, eigene Wege zu gehen durchs eisige Gebirge des Denkens.
Das ist meine Kälte, dass die anderen Sonnen in der Medienlandschaft für mich nicht leuchten und nur schales, langweiliges Flackern von ihnen ausgeht, sodass ich selbst produktiv werden musste, allein schon um selbst auch wieder bessere Podcasts genießen zu können als das was die Podcastlandschaft sonst so bietet.

Erwartet bitte keine Wunder von meinem Podcastwerk, es ist eben keine Milch, kein Labsal, sondern wird es erst wenn ihr es in euren Ohren dazu macht. Das heißt, wenn ihr meine Podcasts zu sehr vergöttlicht, dann tut ihr ihnen unrecht und überseht meine eigentliche Botschaft, dass nämlich gerade die Dunkelheit und das Unklare erforscht werden sollten und immer wieder unsere Neugier anstacheln, nicht das bekannte, wohlige Glück.
Der gesunde Menschenverstand ist eine Geisteskrankheit; ich widme mich lieber meinen eigenen, esoterischen Verrücktheiten, als in die Jauchegrube Twitter hinabzusteigen und dort bei den "Vernünftigen" mit zu diskutieren. Dasselbe erwarte ich von euch.

Um nicht wie Nietzsche zu enden, ist es jetzt wirklich höchste Zeit, meine Mitwelt in meine Gedankenausflüge einzubeziehen, der Mensch als soziales Tier braucht immer die Bestätigung und Anerkennung von anderen. Kommentiert gern auf der Podigeeseite und seid nicht zu zimperlich bei eurer Kritik.

von und mit Simon

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