-10 Hass und Anerkennung
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Marlon Grohn — Hass von oben, Hass von unten
Hass
Ich = Ich
oder
Du = Arsch
?
Für alle Spanischsprecher: beachtet auch, dass ich meine Publikationstätigkeit in meinem spanischen Podcast wieder aufgenommen habe. Er heißt »Mesita, cubríte«: mesita-cubrite.podigee.io
Darin behandelte ich zuletzt eine Erzählung von Roberto Bolaño, in welcher der Satz vorkam, »Waren die Chilenen meiner Generation mutig? Ja, sie waren mutig.«
Die Chilenen damals waren mutig, weil sie gegen den Faschismus des Pinochet-Regimes kämpften und an den Sozialismus unter der Führung Salvador Allendes geglaubt hatten.
Wenn wir die Situation damals mit unserer heutigen vergleichen, wie sind wir eigentlich mutig? Schon damals waren es ja die europäischen Studenten, die eben keine politische, sondern allenfalles kulturelle Revolution zuwege brachten, wobei dann noch darüber zu diskutieren wäre, ob das nicht eher eine kulturelle Konterrevolution war, wofür es mit Robert Pfaller schlagende Argumente gäbe.
Aber auf anderen Kontinenten haben die Menschen ja wirklich gekämpft, sowohl geistig als Teil linker Gruppierungen, als auch praktisch und in vielen Fällen eben tragischerweise blutig, sodass so viele Zehntausende linker Partisanen und Genossen ermordet wurden.
Daher also ist klar, nur eine wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung kann »der Linken erlauben, aus der Grube der Schande und der Inaktivität zu entkommen«, wie Bolaño schreibt. Das bedeutet, sich nicht für Dinge zu schämen, die der Linken oder dem Kommunismus im Besonderen von bürgerlicher Seite als Delegitimationsversuche vorgehalten werden, sondern für die realen Verbrechen des Imperialismus, dessen Repräsentanten wir als BRD-Bürger ja gleichsam alle sind, Kommunistsein hin oder her. Demnach ist erklärbar, inwieweit der 3. Oktober für mich als Tag der Schande gelten darf, womit ich mich im Einklang mit der kommunistischen Weltvernunft wähne, da an diesem Tag der imperialistischen Konterrevolution Schloss und Riegel in den Osten geöffnet wurde und der Abschaffung des Sozialismus das Siegel der Offizialität verliehen wurde. Diese politische Richtung, für die so viele weltweit kämpften und dabei ihr Leben ließen, nicht selten aufgrund von konterrevolutionären bewaffneten Banden, die von den imperialistischen NATO-Mächten finanziert wurden, die Richtung des Sozialismus also ist wert, weiter verteidigt zu werden. Der ach so tragische Abgesang auf die DDR am 3. Oktober wenige Jahre vor meiner Geburt kann in Wahrheit die Erleichterung und den schieren Jubel der herrschenden Klassen nicht verhüllen, nun die Arbeiterklasse noch unverschämter ausbeuten zu können, da weit und breit keine Marxisten mehr da sind, die es ernst meinen mit ihrem Einsatz für die Arbeiterklasse.
Heutige Linke machen sich ja bereits in die Hose, wenn man die Coronadiktatur der Bundesregierung als solche benennt oder eben die ohnehin bestehende Diktatur des Kapitals, die nur revolutionär überwunden werden kann.
So verschüchtert und verängstigt sind die deutschen Linken heutzutage, dass sie lieber »unter den Rock der Propagandabegriffe des Liberalismus flüchten«, wie Marlon Grohn schreibt (Kommunismus für Erwachsene, S. 144), da sie diesen fälschlicherweise als Verfechter und Garanten zivilisatorischer Fortschritte und Befreiungskämpfe unterjochter Völker und Klassen wahrnehmen. Es ist die pure Gewaltherrschaft, die hierzulande in der BRD herrscht, schlimmer als eine Militärdiktatur ist diese liberale Diktatur, die ihren Opfern keine andere Wahl mehr lässt als die komplette Selbstverleugnung und Affirmation der liberalen Tatsachen, also desjenigen barbarischen Weltsystems des Imperialismus, das Jahr für Jahr Millionen aus dem Weg räumt, da sie im Sinne der Kapitalverwertung unnütz sind, sowie die Klasse der ausgebeuteten Arbeiter generiert und braucht, um sie ohne Anerkennung und soziale Entlohnung die Drecksarbeit machen zu lassen.
Es ließe sich noch einiges mehr über meine Sicht auf Deutschland schreiben, doch nur so viel noch, dass nämlich diese liberalen weihevollen Prediger eben Besitzstandswahrer sind, die den erreichten Vorsprung in Technologie und Staatenwesen gegen den Globalen Süden verteidigen wollen und so dessen halbkoloniale Unterdrückung weiter ideologisch rechtfertigen, mag ihnen das auch nicht bewusst sein.
So bekannte sich der renommierte Philosoph Theodor Adorno, der noch heute von vielen liberalen Linken geschätzt wird, dass ihm die Kriegsverbrechen in Vietnam — wir schreiben 1969 — nicht den Schlaf rauben können und er sich vollkommen wohlfühlt in der BRD, wo er in Äquidistanz sowohl zu den vietnameischen Revolutionären als auch zur geballten imperialistischen Kriegsmaschinerie der USA verbleiben möchte:
»Im sicheren Amerika vermochte man die Nachrichten von Auschwitz zu ertragen; nicht leicht wird man irgendeinem glauben, Vietnam raube ihm den Schlaf, zumal jeder Gegner von Kolonialkriegen wissen muss, dass die Vietcong ihrerseits auf chinesische Weise foltern.«
(zitiert nach: Domenico Losurdo — Der westliche Marxismus, S. 111)
Die unermessliche historische Dummheit des letzten Halbsatzes muss nicht kommentiert werden, interessant jedoch ist der Bezug auf Auschwitz, da Adorno damit feinsinnig die geistige Haltung, die in der BRD nach 1945 vorherrscht, einfängt: Auschwitz war schlimm, nichts kann je so schlimm wie das sein, also müssen wir uns mit der Realität und mit notwendigen Unterscheidungen zwischen richtig und falsch gar nicht mehr befassen, denn es geht nurmehr darum, das Schlimme der Vergangenheit zu bekräftigen und darüber die Gegenwart, mag sie auch noch so reaktionär sei, zu rechtfertigen und in den Stand eines zivilisatorischen Fortschrittsprojekts zu erheben. Man sieht, es geht diesen Weicheiern immer nur darum, unter den Rock der Begriffe der Mächtigen zu flüchten. Hitler erkannte man grade noch so als zu bekämpfendes Übel — schließlich bekämpfte er ja auch seinerseits viele Intellektuelle und Linke. Aber der Liberalismus hat daraus gelernt, er bekämpft seine Schriftsteller und Theoretiker nicht mehr, weshalb die nichts gegen ihn einzuwenden haben.
Doch selbst noch während die Sowjetunion gegen die Nazibarbarei kämpfte, wurden ihr von westlichen Intellektuellen Knüppel zwischen die Beine geworfen sowie ihre sozialistische Ausrichtung abgesprochen, wodurch man den Konflikt mit Nazideutschland auf einen zweier gleich schlechter, imperialistischer Mächte reduziert.
So konnte Max Horkheimer 1942 schreiben:
»Anstatt am Ende in der Demokratie der Räte aufzugehen, kann die Gruppe [die kommunistische Partei] sich als Obrigkeit festsetzen. Arbeit, Disziplin und Ordnung können die Republik retten und mit der Revolution aufräumen. Wenngleich die Abschaffung der Staaten auf ihrem Banner stand, hat jene Partei ihr industriell zurückgebliebenes Vaterland ins geheime Vorbild jener Industriemächte umgewandelt, die an ihrem Parlamentarismus kränkelten und ohne den Faschismus nicht mehr leben konnten.«
(Losurdo, S. 105)
Man muss sich vergegenwärtigen, wann diese Zeilen geschrieben wurden, nämlich 1942, also während die Wehrmacht kurz vor Moskau stand und ein Sieg der Nazis durchaus greifbar schien, was die Versklavung von Millionenen Sowjetbürgern bedeutet hätte sowie die Errichtung eines gigantischen Kolonialreiches in Osteuropa. In dieser Situation hält es der deutsche Philosoph für angebracht, ein Generalurteil über die Sowjetunion zu fällen und zu bemessen, ob die Versprechen der Revolution von 1917 eingelöst worden seien.
Das ist konterrevolutionär und in dieser spezifischen historischen Phase hilft es sogar eher dem Faschismus, eine solche Delegitimationskampagne gegen das Land anzustacheln, welches sich unter enormen Opfern gegen die faschistische Aggression wehrte und sich schon jahrzehntelang auf ebendiese vorbereitete durch Entwicklund der Schwer- und Rüstungsindustrie, was auf Kosten der Konsumgüterproduktion für das schöne neue Leben ging. Doch die Zwänge der Historie interessieren den idealistischen Philosophen nicht, ebensowenig wie Täter und Opfer faschistischer Massenmorden auseinanderzuhalten und die historischen Verdienste der Faschismusbesieger zu würdigen.
Sehr entlarved ist Horkheimers Rede, die Sowjetunion sei zum »Vorbild jener Industriemächte«, also der westlichen Mächte wie Deutschland, geworden. Aus dem eigentlichen Erfolg der UdSSR, die kapitalistischen Länder in der anfänglichen Regierungszeit Stalins weit hinter sich zu lassen bezüglich wirtschaftlicher Dynamik und der Schnelligkeit des Aufbaus, mithin der Wachstumsraten der Industrie, die sich im zweistelligen Bereich bewegten, macht Horkheimer einen klaren Beweis des Scheiterns: eben weil der westliche Kapitalismus ja schlecht ist und man eigentlich von ihm wegwollte, kann ein Projekt, das nunmehr von westlichen Imperialisten und Faschisten wie Hitler heimlich bewundernd betrachtet wird und also niedergeschlagen werden soll, um keine Konkurrenz zu den imperialistischen Gepflogenheiten bilden zu können, eben nur ein gescheitertes Projekt voll verratener Ideale sein, das sich nicht mehr weiter zu verfolgen lohnt.
Hierin krönt sich die Idiotie: während man im Westen sitzt und also vom Imperialismus profitiert, kritisiert man die Sowjetunion, also die damals einzige historische Macht, die der Willkür und Gewalt des Imperialismus etwas entgegenzusetzen vermochte, aber eben unter dem Banner eines besseren, ganz rein gebliebenen, von den realen historischen Wirren unbefleckten Kommunismus. Man wünscht sich den idealen Kommunismus, aber solange der nicht existiert, nimmt man eben mit dem Imperialismus vorlieb, weil es aus jener idealistischen Sicht schlechter wäre, sich auf ein unvollkommenes, doch reales kommunistisches Projekt einzulassen, als weiter auf das ganz vollkommene Projekt zu warten, das eines Tages hoffentlich am Horizont der Historie erscheinen wird.
Diese messianische Verblendung vieler westlicher Intellektueller ist leicht zu entlarven als Parteinahme für den Imperialismus und Liberalismus und gegen den Sozialismus.
Es ist aber auch schwer zu vermeiden, wenn man in einer Gesellschaft und von ihr lebt, und die Menschen gerne sieht, die man zu seinen Freunden zählt, dass man dazu tendieren wird, dieser Gesellschaft ein moralisch astreines Dasein zu bescheinigen. Auch deshalb bleibe ich ja so gerne unter dem Radar. Ich möchte meine denkerische Redlichkeit nicht eintauschen gegen die Popularität und Liebe der Massen, wodurch meine Imperialismuskritik ihren Stachel verlieren könnte.
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